Reporting & Kommunikation

Freiwillige Nachhaltigkeitsberichterstattung

Was bedeutet der VSME für Unternehmen?
30. April 2025 Von Sebastian Kühn
Reporting & Kommunikation

Die Entscheidung zur sogenannten „Stop the Clock“-Richtlinie im Rahmen der „Omnibus“-Initiative der EU ist gefallen: Große Unternehmen, die nicht bereits unter die Non-Financial Reporting Directive (NFRD) fallen, erhalten zwei Jahre mehr Zeit, um sich auf die Berichterstattung gemäß der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) vorzubereiten. Weiterhin ungewiss bleibt allerdings, ob die Schwelle für die CSRD-Pflicht von 250 auf 1.000 Mitarbeitende angehoben wird. Für Unternehmen, die in diesem Fall von der CSRD-Pflicht ausgenommen wären, kann der Voluntary standard for non-listed micro-, small- and medium-sized undertakings (VSME) einen Rahmen für die Weiterentwicklung ihrer Nachhaltigkeitsberichterstattung bieten. Denn der Nachhaltigkeitsbericht ist und bleibt – unabhängig von Compliance-Anforderungen – ein wichtiges Instrument für die Erhebung und Steuerung von Nachhaltigkeitsaktivitäten.

VSME statt ESRS – eine echte Alternative?

Der VSME und die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) unterscheiden sich grundlegend. Denn die ESRS bilden die Basis für eine umfassende und detaillierte Berichterstattung gemäß CSRD: Sie formulieren auf Datenpunktebene klare Anforderungen für Transparenz, Vergleichbarkeit und die fundierte Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsthemen. Der VSME dagegen enthält ein vereinfachtes Set an Datenpunkten. Standardnutzer*innen können zwischen dem Basismodul mit 70 und dem Zusatzmodul mit 50 Datenpunkten wählen – unabhängig von Wesentlichkeitsüberlegungen. Dadurch erhalten Unternehmen zwar mehr Flexibilität, riskieren aber, relevante Nachhaltigkeitsthemen für sich oder die Branche zu übersehen – oder nicht ausreichend zu analysieren. Die schlankere, flexiblere Lösung des VSME hat also ihren Preis.

Ein zentrales Element der ESRS, die doppelte Wesentlichkeitsanalyse, ist für die Anwendung des VSME also nicht obligatorisch. Diese stellt jedoch sicher, dass Unternehmen sowohl die finanziellen Auswirkungen von Nachhaltigkeitsaspekten berücksichtigen als auch systematisch ihren Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft analysieren. Die freiwillige Durchführung einer doppelten Wesentlichkeitsanalyse kann somit ein wichtiger Schritt sein, um trotz geringerer regulatorischer Vorgaben eine Grundlage für eine differenzierte Berichterstattung und nicht zuletzt auch strategische Entscheidungen zu schaffen.

Ein weiterer bedeutender Unterschied zwischen den Standards betrifft die Transparenz und Glaubwürdigkeit der Berichterstattung. CSRD-konforme Berichte unterliegen einer externen Prüfung, die sichergestellt, dass die veröffentlichten Informationen korrekt und nachvollziehbar sind. Dies stärkt nicht nur das Vertrauen von Investoren, Geschäftspartnern und Kund*innen, sondern schafft auch eine solide Grundlage für nachhaltigkeitsbezogene Entscheidungen. Der VSME hingegen verzichtet auf eine externe Prüfpflicht. Unternehmen können selbst entscheiden, welche Informationen sie veröffentlichen und auf welcher Datenbasis sie dies tun.

Doch wie belastbar sind VSME-Daten, wenn sie nicht extern geprüft sind? Genau hier liegt eine der größten Herausforderungen im Zusammenspiel von VSME und ESRS. Die großen, nach CSRD berichtspflichtigen Unternehmen sind auf verlässliche Daten angewiesen. Machen ihre Zulieferer Angaben gemäß dem VSME, ohne einer externen Prüfung zu unterliegen, gerät die Qualität der Gesamtdatenlage möglicherweise ins Wanken. Eine fehlende externe Validierung kann sich zudem negativ auf die Glaubwürdigkeit der veröffentlichten Daten auswirken.

Es ist zu beachten: Der VSME ist nicht primär auf die Veröffentlichung eines klassischen Nachhaltigkeitsberichts ausgelegt, wie etwa die Standards der Global Reporting Initiative (GRI). Stattdessen steht die zielgerichtete Bereitstellung entscheidungsrelevanter Informationen für Kunden im Vordergrund – und zwar im Kontext der Wertschöpfungsketten. Das hat tiefgreifende Auswirkungen: Unternehmen berichten nicht, um ihre Nachhaltigkeitsleistungen öffentlich zu demonstrieren, sondern um ihren Kunden die Erfüllung ihrer eigenen Berichtspflichten zu ermöglichen.

Fokuswechsel: von Compliance zu Stakeholder- und Markt-Orientierung

Viele Nachhaltigkeitsratings wie EcoVadis, MSCI oder CDP setzen eine detaillierte und transparente Berichterstattung voraus, die über den VSME hinausgeht. Für Unternehmen, die sich ausschließlich auf den VSME verlassen, wird es schwierig, sich positiv in ESG-Ratings zu positionieren – mit möglichen Folgen für die Beziehung zu Geschäftspartnern. Außerdem kann dies auch direkte Auswirkungen auf Finanzierungsmöglichkeiten mit sich bringen, da Banken und Investoren bevorzugt in Unternehmen investieren, die eine robuste und verlässliche Nachhaltigkeitsstrategie nachweisen können.

Auch im Hinblick auf weitere Stakeholder-Erwartungen ist eine umfassende Berichterstattung entscheidend. Kund*innen, Mitarbeitende und Partner fordern zunehmend transparente Informationen über die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen. Der VSME bietet zwar gewisse Freiheiten, doch geht diese Flexibilität zulasten der Detailtiefe in den Berichten. Dies ist besonders relevant, wenn Unternehmen von ihren nicht berichtspflichtigen Lieferanten beispielsweise produktbezogene Informationen anstelle der im VSME vorgesehenen unternehmensbezogenen Daten benötigen. Fehlende oder unzureichend dargestellte Nachhaltigkeitsinformationen können das Vertrauen in ein Unternehmen mindern und so zu einem Wettbewerbsnachteil führen.

Fazit: VSME für ambitionierte ein Einstieg, kein Zielbild

Ausschließlich auf den Standard geblickt, ist der VSME ein Anfang für die Berichterstattung – doch reicht er nicht aus, wenn Unternehmen mehr wollen, als nur Steigbügelhalter für die Datengrundlage großer Unternehmen zu sein. Wer Nachhaltigkeit strategisch verankern, Wirkung erzielen und die eigenen Positionierungen glaubwürdig darstellen will, muss seine nachhaltigkeitsbezogenen Offenlegungen über die Minimalanforderungen hinausdenken.

Konkret bedeutet das, dass Unternehmen die VSME-Berichterstattung in Richtung einer umfassenderen, strategisch fundierten Nachhaltigkeitsberichterstattung weiterentwickeln müssen. Die Grundlage hierfür kann beispielsweise eine freiwillige doppelte Wesentlichkeitsanalyse sein. Isoliert betrachtet, bietet der VSME keine tragfähige Perspektive für Unternehmen, die Nachhaltigkeit als Teil ihrer Transformation begreifen.

Die „Omnibus“-Diskussion auf EU-Ebene sollte nicht dazu verleiten, Nachhaltigkeit im Unternehmen grundsätzlich zu vernachlässigen. Unabhängig davon, ob Unternehmen mehr Zeit gewonnen haben oder ganz aus der CSRD-Pflicht rausfallen: Die dynamische Situation bietet ihnen die Chance, ihre Ansätze für unternehmerische Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln. Wer bereits jetzt damit beginnt, ESG-Daten strukturiert zu erfassen und eine fundierte Wesentlichkeitsanalyse durchzuführen, wird auf lange Sicht besser aufgestellt sein. Und nur wer steuerungsrelevante Risiken, Chancen und Auswirkungen seiner Geschäftstätigkeit systematisch erfasst, kann die Wirksamkeit seines strategischen Ansatzes bewerten und langfristig fundierte Entscheidungen treffen.

 

Unsere Expert*innen unterstützen Sie gerne dabei, den für Ihr Unternehmen geeigneten Standard zu identifizieren und die Nachhaltigkeitsberichterstattung sowie die vorgeschalteten Prozesse sorgfältig aufzusetzen.