Netto Null Treibhausgasemissionen bis 2050 – daran führt für Unternehmen kein Weg vorbei, wenn die globale Erwärmung auf maximal 1,5 °C eingedämmt werden soll. Das Ziel ist also für Unternehmen aller Branchen identisch, unabhängig von Jahresumsatz, Sektorzugehörigkeit oder Anzahl der Beschäftigten. Doch der Weg dorthin unterscheidet sich erheblich. Wir erläutern, warum es für das Net-Zero-Ziel keine „One Size Fits All“-Standardlösung gibt, welche Interessenkonflikte aufkommen und wie der Weg erfolgreich beschritten werden kann.
Effektiver Klimaschutz geht nur über kurz und lang
Viele Unternehmen haben bereits Ambitionen oder konkrete Zielsetzungen zur Senkung ihrer Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen) formuliert. Der wohl prominenteste und standardisierte Prozess dafür läuft über die Science Based Targets initiative (SBTi). Mehr als 2.800 Unternehmen haben bereits zugesichert, sich wissenschaftliche Klimaziele nach Vorgaben der SBTi zu setzen – und zwar mindestens kurzfristige „near-term targets“, die meist über 5 bis 15 Jahre laufen. Wegen des überschaubaren Zeithorizonts legen sie so hauptsächlich kleinere Klimaschutz-Etappen zurück – allerdings oft ohne wesentliche Reduktionsziele für die Lieferkette, die jedoch häufig einen Großteil der THG-Emissionen ausmacht.
Wirklich Großes bewegen lässt sich auf lange Sicht aber nur mit weiterreichenden Zielen, sogenannten „long-term targets“. Dabei muss die konsequente, ganzheitliche und individuell gestaltete Reduktion im Mittelpunkt stehen. Diesen Schritt gehen von den oben genannten SBTi-verpflichteten Unternehmen bereits über 900 – also ein gutes Drittel. Sie entwickeln dauerhaft angelegte Klimaziele, deren Endstation tatsächlich null Emissionen sind – mit einer vorherigen Reduktion von mindestens 90 %. Ein offiziell validiertes Netto-Null-Ziel* oder „net zero target“ können bisher aber nur ganze sieben (!) Unternehmen vorweisen. Doch woran liegt das?
Interessenskonflikte auf dem Weg zum Net Zero-Ziel
Eine langfristige Netto-Null-Strategie betrifft verschiedenste Fachbereiche und Lieferketten. Als Berater*innen erleben wir in der Praxis oft Interessenkonflikte: Zum Beispiel möchte die Abteilung für den Stromeinkauf erneuerbare Power Purchase Agreements (PPA, spezielle Stromlieferverträge) abschließen, die bis zu 20 Jahre andauern. Diese Pläne können jedoch vom Controlling durchkreuzt werden, denn dessen Vorgaben lassen nur Energielieferverträge mit viel geringeren Laufzeiten zu. Erschwerend kommt hinzu, dass THG-reduzierte Technologien wie erneuerbare Energien oder grüner Stahl zunehmend Mangelware werden und im Einkauf immer schwieriger zu ergattern sind. Weitere interne Spannungen treten auf, wenn kurzfristige, schwankende Wachstumsziele und die weitaus langfristigeren, fixen THG-Reduktionsziele aufeinander abgestimmt werden sollen.
Zulieferer überzeugen, Bedenken ausräumen
All das muss außerdem mit den Zulieferern verhandelt, definiert und umgesetzt werden. Schließlich ist jede Organisation nach dem Net-Zero-Standard des SBTi dazu verpflichtet, die gesamte vor- und nachgelagerte Wertschöpfungskette (Scope 3) von der Rohstoffgewinnung über die Nutzungsphase bis zur Entsorgung zu dekarbonisieren. Denn dort entstehen die meisten Emissionen, oft 90 % oder mehr.
Wie plant man mit unausgereiften Technologien?
Darüber hinaus müssen Unternehmen für ihre Net-Zero-Pläne mit sogenannten Carbon Dioxide Removals (CDRs) rechnen. Denn sobald alle Emissionen nach Scope 1, 2 und 3 drastisch heruntergefahren wurden, muss der verbleibende Ausstoß (etwa 10 %) neutralisiert werden. Über CDRs wird CO2 mittels natürlicher oder technologischer Prozesse aktiv aus der Atmosphäre entfernt und langfristig gebunden bzw. gespeichert. Langfristig bedeutet hier nicht weniger als mehrere Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte. Es überrascht nicht, dass es für diese Prozesse noch keine ausgereiften Märkte gibt – aktuell entwirft das Greenhouse Gas Protocol hierzu Richtlinien, die für den Net-Zero-Standard verpflichtend sein werden. Für manche Entscheider*innen wirken CDRs momentan noch ungewiss und heikel. Diese Bedenken können wir als Berater*innen jedoch ausräumen: Es gibt bereits belastbare Removal-Maßnahmen. Jedes Unternehmen muss nur die für den eigenen Betrieb richtigen wählen.
Unser Credo: Net Zero gibt es nicht von der Stange
Wir bei Stakeholder Reporting kennen die Herausforderungen, die mit „Net Zero Assessments“ und den begleitenden Maßnahmen einhergehen. Mit 20 Jahren operativer Erfahrung im Rücken pflegen wir langfristige Kundenbeziehungen in verschiedenen Branchen und Organisationsformen. Deshalb verfolgen wir immer einen unternehmensspezifisch modularen und ganzheitlichen Ansatz – so wie er für eine hochkomplexe Aufgabe wie die Erarbeitung einer Net-Zero-Strategie unverzichtbar ist.
Individuelle Maßnahmen, gemeinsam erarbeitet – das ist der einzige Weg, um die möglichen internen und externen Konflikte anzugehen. Gemeinsam mit unseren Kund*innen identifizieren wir daher fachbereichsspezifische Hürden, moderieren und lösen Interessenkonflikte auf.
Wir starten mit einem passgenau vorbereiteten Workshop, um gemeinsam mit unseren Kund*innen herauszufinden wo die unternehmensspezifischen Emissions-Hotspots sind – etwa im Einkauf von Energie, Gütern und Dienstleistungen. Dieser Anfangsprozess beruht neben Corporate Carbon Footprints (CCF, kundenspezifische THG-Bilanzen) auch auf Sektor- und Wettbewerbsbenchmarks. Die Hotspots betreffen in der Regel mehrere interne Anspruchsgruppen (Controlling, Einkauf, Finance, R&D, Produktion, Nachhaltigkeitsabteilung, uvm.) sowie externe Stakeholder*innen (wie Lieferant*innen, Kund*innen, Investor*innen).
Den Vorstand ins Boot holen
Hierbei kommt es darauf an, alle externen und internen Beteiligten einzubeziehen und einen Austausch auf Augenhöhe zu ermöglichen. Meine Kolleg*innen und ich sind darin geschult, zu vermitteln. Erfahrungsgemäß ist es hier auch besonders wichtig, frühzeitig die Vorstandsebene zu involvieren. Nur mit einem klaren Commitment seitens des Vorstands kann eine langfristige Net-Zero-Strategie erfolgreich in die Organisation und alle ihre Bereiche integriert werden. Unsere Rolle dabei: Wir holen das Management mit speziellen Top-Management-Workshops sowie Entscheidungsvorlagen ab und machen klar, weshalb Net Zero nur mit dem richtigen „Tone from the Top“ erfolgreich umgesetzt werden kann.
Im nächsten Schritt entwickeln wir zusammen eine Dekarbonisierungs-Roadmap für die Hotspots mit individuellen Maßnahmen. Ein großer Hebel sind beispielsweise sogenannte Insettingprojekte: Über diese Maßnahmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette mindert ein Unternehmen nicht nur seine kompletten THG-Emissionen und gewährleistet Kohlenstoffspeicherung. Es erzielt gleichzeitig positive Auswirkungen auf kleinere und größere Ökosysteme.
Der aktive und intensive Austausch mit den Lieferant*innen kann nicht nur zur Generierung eigener CDRs führen – etwa in Form von unmittelbar durchgeführten Aufforstungsprojekten innerhalb der Lieferkette – die nur auf Basis langfristiger Beziehungen gemeinsam entwickelt werden können. Ebenfalls ermöglicht der Austausch den Zugriff auf mehr und bessere Daten der Scope-3-Emissionen. Wir moderieren dabei zwischen unseren Kund*innen und ihren Zulieferern und helfen bei der Entwicklung skalierbarer, jedoch stets kundenindividueller Lösungsansätze.
Am Ball bleiben
Wer die Maßnahmen für die langfristigen Klimaziele umsetzt, muss immer wieder genau hinschauen, aufhorchen und nachjustieren. Die Emissions-Hotspots sollten überprüft und aktualisiert werden. Das erreicht ein Unternehmen, indem es die realen Scope-3-Emissionen und die Reduktionsmaßnahmen der Lieferant*innen überwacht sowie regelmäßig in den Dialog tritt. Schritt für Schritt zeigt sich dann, dass die maßgeschneiderte Net-Zero-Strategie intern fruchten und extern Akzeptanz finden kann.
* Den Zustand „Netto Null“ bzw. „Net Zero“ erreicht ein Unternehmen, wenn wirklich alle Netto-Treibhausgasemissionen (CO2–Äquivalente oder CO2e) in der eigenen Organisation und in der gesamten Lieferkette null betragen. Wie Net Zero von den anderen Begriffen in der Theorie abzugrenzen ist, haben wir in unserem Beitrag „Net Zero: null Emissionen für vollen Klimaschutz“ erläutert.