Fresh! Thinking!

Warum Kampagnen vielleicht doch nicht von gestern sind

Die Aufbruchkolumne von Michael Winter im Magazin enorm
6. November 2017 Von Michael Winter
Fresh! Thinking!

Ich arbeite mitten im Hamburger Schanzenviertel. In der Mittagspause sprechen mich auf der Straße oft engagierte Menschen an, die mit einem Flyer für eine Kampagne werben. Natürlich immer für die gute Sache. Manchmal gebe ich den jungen Campaignern mit der leisen Überheblichkeit des Erfahreneren statt einer Spende eine Weisheit mit: „Kampagnen sind out! Die Zukunft gehört den Stakeholder-Dialogen!“ Darum kümmere ich mich jeden Tag, ich muss es wissen. Oder?!

Schauen wir doch mal genauer hin. Grundsätzlich lassen viele Befragungen erkennen, dass es Unternehmen ernst ist, wenn sie Nichtregierungsorganisationen (NROs) und andere Stakeholder zum Dialog einladen. Eine  internationale Studie kam 2015 zu folgendem Ergebnis: Mehr als 50 Prozent der befragten Geschäftsführer und Vorstände glauben, Stakeholder-Dialoge seien wirksame Treiber für Veränderungsprozesse hin zu mehr Nachhaltigkeit in ihrem Unternehmen. Ebenso viele erhoffen sich von dem Austausch Ideen für neue und innovative Produkte. Gerade das Gespräch mit kritischen Stakeholdern könne wie ein Innovationslab für die Geschäftsfeldentwicklung und Erkundung neuer Märkte wirken. Doch wie stehen die Stakeholder selbst zu dieser Art von Austausch mit Unternehmen? Grundsätzlich positiv – sagten zumindest die Teilnehmer einer Studie der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ aus dem letzten Jahr. Sie stufen sogenannte Multi-Akteurs-Partnerschaften, die alle Akteure einer Branche einbeziehen, von NROs über Unternehmen bis zur Politik, prinzipiell als geeignete Problemlöser für gesellschaftliche Herausforderungen ein. Zugleich bemängeln viele, wie wenig oft bei solchen Veranstaltungen herauskomme.

An dieser Stelle sind wir Berater gefragt: Wir wissen, wie langwierig und hochpolitisch echte Veränderungsprozesse in Unternehmen oft sind. Uns muss es künftig besser gelingen, realistisches Erwartungsmanagement auf Seiten der Teilnehmer solcher Dialoge zu betreiben. Wir müssen
die Unternehmen überzeugen, nicht nur auf einmalige Dialogveranstaltungen zu setzen, sondern auf  längerfristigen Austausch: zum Beispiel in Form von kommentierbaren Fortschrittsberichten oder sogar durch die Gründung von fest etablierten Strukturen wie  Stakeholder-Beiräten. Und genau für einen solchen langfristigen Austausch erscheinen mir die Kampagnen der NROs auf einmal doch nicht mehr so gestrig und überflüssig. Die Aufmerksamkeit, die mit den Kampagnen  einhergeht, stärkt die Verhandlungsposition der Stakeholder und sichert ihre moralische Autorität. Und darauf können auch die Unternehmen als Dialogpartner nicht verzichten. Mehr noch: Mit einer aktuellen Kampagne im Hintergrund können die Nachhaltigkeitsmanager der Unternehmen interne Widerstände leichter überwinden und so manche Veränderung beschleunigen. Vielleicht nehme ich mir in meiner nächsten Mittagpause ein bisschen mehr Zeit für die netten Campaigner vor unserer Tür.