Fresh! Thinking!

Warum ich das Wort „Nachhaltigkeitsberater*in“ nicht mehr in den Mund nehme

Die Aufbruchkolumne von Michael Winter im Magazin enorm
18. Dezember 2017 Von Michael Winter
Fresh! Thinking!

Neulich beklagte sich ein Wettbewerber bei mir über die vielen neuen Kolleg*innen, die sich nun auch „Nachhaltigkeitsberater*in“ nennen, ohne die entsprechende Expertise zu haben. Er schlug vor, einen Verband zu gründen, dem nur Fachleute angehören dürfen, die sich mit Nachhaltigkeit wirklich auskennen. Der solle sich am Nachhaltigkeitsverständnis des Brundtland-Berichts von 1987 orientieren, der den Begri­ff „Nachhaltigkeit“ entscheidend geprägt hat und das Postulat inter- und intragenerativer Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt. Damit sind zwei Forderungen verbunden: Die heutige Generation darf nicht auf Kosten zukünftiger Generationen leben, und jede Generation soll die ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen gerecht verteilen. Aber ist es wirklich zielführend, mich bei meiner Arbeit auf solch allumfassende Moralprinzipien zu beziehen?

Schauen wir doch einmal genauer hin: Grundsätzlich lassen beide betriebswirtschaftlichen Steuerungsmodelle – der Shareholder- und der Stakeholder-Ansatz – eine Ausrichtung an  Moralprinzipien zu. Im ersten Fall kann die Unternehmensführung als „Agent des Eigentümers“ moralische Unternehmensziele verfolgen. Hier müsste ich als Berater die Investor*innen davon überzeugen, ihre Vorgaben an die Geschäftsführung meiner Kund*innen an moralischen Prinzipen auszurichten. Im zweiten Fall wäre es meine Aufgabe, als neutraler Beobachter einen Konsens zwischen den Stakeholdern und den Unternehmen im Sinne der Generationen-Gerechtigkeit herbeizuführen.

Meine Erfahrung zeigt, dass beide Aufgabenstellungen schwer erfüllbar sind. Weder tre­ffen Investor*innen ihre Entscheidung ausschließlich nach moralischen Kriterien, noch lassen sich alle Stakeholder unter einen gemeinsamen moralischen Konsens zwängen. Vielmehr reagieren die meisten Investor*innen geradezu allergisch auf moralische Bevormundung. Zielführender ist es, mit der Langfristigkeit der Rendite und zukünftigen Geschäftsfeldern zu argumentieren. Und jeder, der schon einmal an einem Stakeholder-Dialog teilgenommen hat, weiß, dass moralische Vorhaltungen auch dort umgehend Abwehrmechanismen auslösen, die eine lösungsorientierte Zusammenarbeit verhindern. Sinnvoller ist auch hier, einen Gang runterzuschalten und die Diskussion an der Frage auszurichten: „Was verbindet uns in diesem Gemeinwesen, und welchen Beitrag können wir gemeinsam leisten?“

Wie also können Berater*innen der inflationären Verwendung des Begri­ffs „Nachhaltigkeit“ Einhalt gebieten, ohne zugleich seiner moralische Überhöhung Vorschub zu leisten? Ich meine, indem sie die Anforderungen von Stakeholdern und Unternehmen ausbalancieren, gemeinsam den notwendigen Beitrag von Unternehmen zum Gemeinwohl identifizieren und diesem Beitrag innerhalb des Unternehmens verbindlich Geltung verscha­ffen. Ich nenne das: „Kommunikations- und Transformationsberatung zu den für das Gemeinwohl wichtigen Themen Nachhaltigkeit und Corporate Responsibility“. Aber das ist wohl nicht knackig genug für einen Verbandsnamen …