Interview

„Für uns ist die integrierte Berichterstattung ein Katalysator für interne Prozesse.“

Dr. Lothar Rieth (EnBW Energie Baden Württemberg AG, Konzernexperte Nachhaltigkeit) im Gespräch mit Michael Winter
15. Juni 2016 Von Michael Winter
Interview

EnBW hat mit dem EnBW-Bericht 2014 nach mehreren Integrationsschritten erstmals eine integrierte Berichterstattung finanzieller und nicht finanzieller Angaben publiziert. Das Unternehmen orientierte sich dabei an den Berichtsprinzipien und ‑elementen des vom International Integrated Reporting Councils (IIRC) 2013 vorgelegten  Rahmenwerks „Integrated Reporting“ (IR). Bereits im Vorfeld hatte EnBW wichtige Prozesse zur Steuerung finanzieller und nicht finanzieller Performance integriert, sodass der integrierte Bericht zugleich als Bericht zur Lage und den Aussichten der eigenen Unternehmenstransformation gelesen werden kann. Dieser Entwicklungsprozess soll uns in dem folgenden Gespräch besonders interessieren.

Warum haben Sie bei EnBW die integrierte Berichterstattung eingeführt? Welche Erwartungen verbinden Sie damit?

Mit der Einführung der integrierten Berichterstattung vor zwei Jahren haben wir primär das Ziel verfolgt, die Geschäftsberichterstattung wieder attraktiver zu gestalten – selbstverständlich für die Marktakteure, aber auch für andere Lesergruppen. Wir wollten darüber hinaus die zunehmende Bedeutung von nicht finanziellen Informationen würdigen und diese in die Jahresberichterstattung mit aufnehmen. Gleichzeitig haben wir uns entschlossen, keinen weiteren Nachhaltigkeitsbericht mehr zu erstellen. Stattdessen wollten wir uns voll auf die integrierte Berichterstattung und damit auf die Darstellung entscheidungsrelevanter Informationen konzentrieren.

Das IIRC will mit seinem Engagement für eine integrierte Berichterstattung eine Motivationsgrundlage dafür schaffen, dass Unternehmen Nachhaltigkeitsaspekte stärker in ihren zentralen Steuerungsfunktionen berücksichtigen. Kann integrierte Berichterstattung hierzu wirklich einen Beitrag leisten? Auf welchen Ebenen des Unternehmens kann dies erfolgen?

Für uns war die Mitarbeit an der Erstellung des IIRC-Frameworks sowie die Teilnahme am Pilotprogramm und der Einführung von zwei kombinierten Berichten und schließlich dem ersten integrierten Bericht für das Berichtsjahr 2015 sehr wichtig. So konnten wir prüfen, welche Nachhaltigkeitsinformationen – wir nennen sie in der Berichterstattung immer noch nicht finanzielle Informationen – für den weiteren Geschäftsverlauf der EnBW materiell relevant sind. Hierzu haben wir abteilungsübergreifend in Arbeitsgruppen intensive Gespräche und sehr konstruktive Diskussionen geführt.

Eine der Anforderungen an eine gute integrierte Berichterstattung ist es, die Zukunftsausrichtung des Unternehmens stärker sichtbar zu machen. Der Leser soll darüber informiert werden, wie das Unternehmen mit zukünftigen Risiken und Chancen umgehen will. Kann damit der integrierte Bericht zum Treiber werden, unternehmerische Entscheidungen eher langfristig auszurichten?  

Für uns hat die integrierte Berichterstattung in der Tat als eine Art Katalysator gewirkt. Um die Adressaten zukünftig stärker wunschgemäß über den zukünftigen Geschäftsverlauf informieren zu können, galt es zunächst, die internen Prozesse voranzutreiben. Hierfür haben wir in den unterschiedlichen Bereichen „Key Performance Indicators“ (KPIs), d. h. Schlüsselindikatoren definiert. Hierzu gehörten klassische finanzielle ebenso wie ökologische und kundenbasierte Zahlen. Darüber hinaus haben wir soziale, gesellschaftliche Faktoren einbezogen. So ergab sich insgesamt ein Dutzend Kennzahlen. Diese haben wir intensiv diskutiert und analysiert und uns im weiteren Prozess für jeden KPI kurz-, mittel- und langfristige Ziele gesteckt. Daraus ergab sich auch die Notwendigkeit, insbesondere bei nicht finanziellen Kennzahlen, die weitere Entwicklung und ihre Wirkung auf finanzielle Kennzahlen zu diskutieren. Dies war sehr hilfreich für interne Prozesse sowie die Entwicklung unserer integrierten Berichterstattung. Ein weiterer wichtiger Schritt bestand in der Einbeziehung von nicht finanziellen Informationen in den Risiko- und Chancenbericht und in die Prognose. Ich glaube, hier wird sich zukünftig auch zeigen, ob Unternehmen es ernst meinen mit der integrierten Berichterstattung, denn Integration bedeutet letztlich die Aufnahme der materiellen Informationen in alle Teile des Geschäftsberichts.

Wie bewerten Ihre Zielgruppen den EnBW-Bericht? Was sagt die Politik, die Landesregierung? Was sagen Analysten? Wird EnBW auch aufgrund der neuen Form der Berichterstattung als transformatives Unternehmen wahrgenommen?

Wir haben in den letzten Jahren u. a. bei der Befragung unserer Zielgruppen sehr positive Rückmeldung erhalten. Wir sehen allerdings auch, dass auf beiden Seiten schrittweise Lernprozesse erforderlich sind: Eine radikal neue Form der Berichterstattung wird vom Adressaten nicht unbedingt auch sofort gewürdigt. Deswegen haben wir uns für eine Evolution entschieden, um eine Kontinuität und Wiederauffindbarkeit der Daten zu gewährleisten. Für diese Form der schrittweisen Umstellung erhielten wir breite Zustimmung von Finanzmarktakteuren und anderen Stakeholdern. Von Anteilseignern, politischen Akteuren, der Landesregierung sowie zivilgesellschaftlichen Gruppen haben wir wichtige Hinweise zur Weiterentwicklung erhalten. Ihre Anregungen haben wir genutzt. So haben wir beispielsweise bei der verantwortungsvollen Rohstoffbeschaffung die Akzente neu gesetzt und das Rohstoffkapitel dementsprechend ausgebaut, um besonderen Informationsbedürfnissen gerecht zu werden.

Als Hindernis bei der Weiterentwicklung der integrierten Berichterstattung wird häufig die mangelnde Vergleichbarkeit der Berichte gesehen. Aufgrund fehlender Standards müsse jedes Unternehmen seinen eigenen Weg gehen. Denken Sie auch, dass die Standardisierung weiter vorangetrieben werden sollte? Wie ließe sich dies erreichen?

In der Tat, die Frage der Vergleichbarkeit ist ein ganz wichtiger Punkt. Den Mentoren unseres Konzernprojekts „Integrierte Berichterstattung“, allen voran dem Finanzvorstand Thomas Kusterer und auch unserem CEO Frank Mastiaux, war es daher von Anfang an sehr wichtig, dass wir nicht „nur“ materielle Faktoren berichten, sondern dass wesentliche Inforationen auch vergleichbar sind. Wir haben uns deshalb für einen Mix aus vergleichbaren KPIs und weiteren Indikatoren entschieden. Diese EnBW spezifischen Kennzahlen werden zukünftig ggf. auch von anderen Unternehmen übernommen. Aber es ist tatsächlich sehr wichtig, dass sich Unternehmen an bedeutenden Standards orientieren, um somit auch ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit zu gewährleisten.

Wie beurteilen Sie die Qualitätsinitiative von Stakeholder Reporting, Kriterien für integrierte Berichte zu definieren, basierend auf verschiedenen Standards wie IIRC, GRI oder auch dem DRS20, und die Berichte in Deutschland danach zu ranken (mehr unter http://integratedreporting.de)? Lassen sich daraus auch für Ihr Unternehmen Potenziale für eine Weiterentwicklung ableiten?

Wir sehen die Qualitätsinitiative von Stakeholder Reporting als sehr wichtige Initiative an, weil sie erstmals versucht, integrierte Berichte, die grundsätzliche Standards der Geschäftsberichterstattung und der Nachhaltigkeitsberichterstattung mit aufnehmen, zu bewerten. Die sehr umfangreiche Methodik, die unterschiedliche Dimensionen der Berichterstattung untersucht, hat uns bei einer Vorabanalyse unseres Berichts geholfen, noch einmal besondere Stärken und Herausforderungen zu identifizieren und danach auch entsprechende weitere Maßnahmen zu ergreifen. Um ein Beispiel herauszugreifen: Die Materialität, die Wesentlichkeit, unterscheidet die integrierte Berichterstattung von der klassischen Nachhaltigkeitsberichterstattung, wo doch bislang stärker die Vollständigkeit im Vordergrund stand. Im Vergleich zum DRS20 ist so hervorzuheben, dass die langfristige Ausrichtung bei der integrierten Berichterstattung doch deutlich stärker gefördert wird. Und so lassen sich diverse Punkte darstellen, die in der integrierten Berichterstattung anders gehandhabt werden als in der klassischen Berichterstattung. Letztlich baut alles aufeinander auf.

In dem Zusammenhang möchte ich auch auf die zusätzliche Frage eingehen, wie die CSR-EU-Direktive auf die integrierte Berichterstattung wirken wird. Bezogen auf die anstehende nationale Umsetzung der CSR-Direktive ist es uns sehr wichtig, dass die Bundesregierung auch dafür Sorge trägt, dass die Geschäftsberichterstattung in Richtung integrierter Berichterstattung weiterentwickelt werden kann, denn die Abgabe einer zusätzlichen, nicht finanziellen Erklärung ist aus unserer Sicht, nicht hilfreich. Deswegen plädieren wir stark dafür, auch eine entsprechende Umsetzungsoption im Sinne der integrierten Berichterstattung zu ermöglichen.

Wenn Sie an Ihre persönlichen Erfahrungen der letzten fünf Jahre denken: Was brauchen transformative Unternehmen eigentlich am meisten, um Wandel erfolgreich zu gestalten?

Ganz zentral sind Mut und Vertrauen: Die Unternehmen brauchen Mut zu zeigen, dass es sich lohnt, neue Wege zu beschreiten. Es erfordert Mut, deutlich zu machen, dass ein Wandel eine intensive Befassung mit dem Status quo und einer neuen Zielsetzung auch hilft, positive Impulse zu setzen. Erforderlich ist außerdem Vertrauen in das eigene Unternehmen, dass dort umfassende Potenziale vorliegen – zum Teil auch brachliegende –, die es miteinander zu verknüpfen gilt. Diese Entwicklungen können dann auch in der Berichterstattung umfassender, verständlicher, aber nicht unbedingt im Sinne von länger, sondern kompakter und präziser, dargestellt werden – ganz im Sinne der Adressaten.

Vielen Dank, lieber Herr Dr. Rieth, für diese spannenden Einblicke zur Wirksamkeit der integrierten Berichterstattung als Motor der Unternehmenstransformation. Ich würde mich darüber freuen, das Gespräch mit Ihnen bei Gelegenheit fortzusetzen.

Vita: Dr. Lothar Rieth arbeitet seit April 2011 bei der EnBW Energie Baden-Württemberg AG als Referent für Nachhaltigkeit, CR und Unternehmenspositionierung. Er ist verantwortlich für das Nachhaltigkeitsmanagement der EnBW und Ko-Projektleiter des EnBW Konzernprojekts „Integrierte Berichterstattung“. Als Mitglied der Technical Task Force des International Integrated Reporting Councils hat er aktiv an der Erstellung des neuen Rahmenwerks der integrierten Berichterstattung mitgewirkt. Er setzt sich für die Verankerung von Nachhaltigkeitsthemen im Kerngeschäft von Unternehmen ein und sieht die Verknüpfung und Verankerung von finanziellen und nicht finanziellen Elementen in der Unternehmenssteuerung als eine der zentralen Herausforderungen (nicht nur) für Nachhaltigkeitsmanager in Unternehmen. Von 2005 bis 2011 war Dr. Lothar Rieth wissenschaftlicher Mitarbeiter der TU Darmstadt am Institut für Politikwissenschaft im Arbeitsbereich Internationale Politik mit Schwerpunkt Private Akteure/Unternehmensverantwortung. In der universitären Lehre engagierte er sich in praxisnahen Projekten, in denen das CR- bzw. Nachhaltigkeitsengagement deutscher Großunternehmen analysiert wurde.